Anti-Palästina-Prozess in Duisburg: Leon Wystrychowski ist nicht schuldig!

Am 21. Mai 2025 wurde Leon in zweiter Instanz vom Landgericht Duisburg freigesprochen. Damit hob die Richterin das am 10. April 2024 vom Duisburger Amtsgericht gefällte Urteil auf.

Aufruf zur Intifada und Eintreten für Ein-Staat-Lösung nicht strafbar – auch nicht am 9. Oktober 2023!

Der Duisburger Staatsschutz hatte Leon nach einer Demonstration am 9.10.2023 angezeigt, weil er nach seiner Abschlussrede angeblich die Parolen „From the River to the Sea, Palestine will be free“ und „Von Duisburg bis nach Gaza Yalla Intifada“ angestimmt hatte. Die Staatsanwaltschaft Duisburg konstruierte daraus folgenden Vorwurf: Leon soll mit den beiden Parolen Morde der Hamas an zivilen israelischen Staatsbürgern gebilligt und damit gegen § 140 Strafgesetzbuch verstoßen haben. Ein zentrales Argument war der „enge zeitliche Zusammenhang“ zum 7. Oktober 2023.

Gegen einen von Richter Haberland vom Amtsgericht Duisburg unterzeichneten Strafbefehl legte Leon Einspruch ein. So kam es am 10. April 2024 zum Prozess. Hier verurteilte derselbe Richter Leon zu einer Geldstrafe, wobei er sich der Argumentation der Staatsanwaltschaft voll und ganz anschloss. Während der Verhandlung erklärte er sogar, es ginge gar nicht um die beiden konkreten Parolen, in dieser Situation nach dem 7. Oktober jede pro-palästinensische Aussage als Billigung von Straftaten gelesen werden können. Diese so ehrliche wie empörende Aussage fand sich im schriftlichen Urteil nicht mehr. Dort wurde plötzlich doch mit dem Inhalt der Parolen argumentiert, die „im engen zeitlichen Zusammenhang“ zum 7.10.2023 nicht anders auszulegen gewesen seien, als den „Mord und Totschlag“ der Hamas an jenem Tag zu billigen.

Leon legte erfolgreich Berufung gegen dieses Urteil ein. Sein Anwalt Tim Engels argumentierte u. a., dass Leon keine Billigung von Straftaten nachgewiesen werden könne, wenn nicht bewiesen werde, dass er in seiner Rede konkret Straftaten oder auch nur Gewalt gebilligt habe. Die Richterin der Berufungskammer, Ostkamp-Zhu, sah das offenbar genauso und wies die Polizei zwei Mal an, Nachermittlungen anzustellen, um den Inhalt der Abschlussrede zu ermitteln. Bemerkenswerterweise konnte der Staatsschutz bei dieser Recherche keinerlei Videos zutage fördern, obwohl der rassistische Online-Blog „Ruhrbarone“ einen Teil von Leons Rede wie auch den Moment, als die Parole „Yalla Intifada“ angestimmt wurde, auf YouTube gestellt hatte.

13 Monate nach dem ersten Urteil begann der zweite Prozess, der sich über zwei Verhandlungstage erstreckte. Am Ende wurde Leon freigesprochen. Die Richterin führte in ihrer mündlichen Begründung aus, dass die Parolen an sich nicht strafbar seien, wobei sie sich u. a. auf entsprechende Urteile aus Kassel und Mannheim bezog. Der enge zeitliche Zusammenhang zum 7.10.2023 müsse zwar berücksichtigt werden, aber er allein könne nicht ausschlaggebend sein. Denn ansonsten wären nach diesem Datum keinerlei Meinungsäußerung zugunsten der Palästinenser mehr möglich gewesen, was mit dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit unvereinbar sei. Damit widersprach sie explizit dem Urteil aus der ersten Instanz. Weiter führte die Richterin aus, dass es keinerlei Beweis gäbe, dass Leon in irgendeiner Form Straftaten oder auch nur Gewalt gebilligt oder verherrlicht hätte. Auch sei die Stimmung auf der Demo – anders als von der Polizei und den Medien behauptet – nicht aggressiv gewesen. Die Teilnehmer hätten vor allem „internationale Solidarität“ eingefordert. Hierzu hatte Leon ausführlich berichtet und Videos zum Beweis vorgelegt. Und zuletzt konnte Leon durch das Video der „Ruhrbarone“ beweisen, dass er zumindest die Parole „Yalla Intifada“ nicht angestimmt hatte, was die Aussage eines der beiden als Zeugen geladenen Polizisten widerlegte.

Ein politischer Prozess und ein politischer Sieg

Leon führte in seiner Verteidigung u. a. aus, dass seine Palästinasolidarität nicht zu trennen ist von seinem langjährigen antifaschistischen, antirassistischen und internationalistischen Engagement. Er machte auch erneut deutlich, dass er die „Al-Aqsa-Flut“-Operation nicht für einen „Terroranschlag“, sondern für eine vom Völkerrecht gedeckte Widerstandsoperation hält – was aber weder bedeutet, dass er Kriegsverbrechen billigt, noch dass er Gewalt an sich nicht verabscheut. Auch führte er aus, dass davon auszugehen ist, dass ein Großteil der am 7.10.2023 getöteten Zivilisten auf das Konto der israelischen Armee geht, und er kritisierte die deutschen Leitmedien für ihre manipulative und einseitige Berichterstattung. Schließlich klagte er Deutschland wegen seiner Komplizenschaft beim Gaza-Genozid an und ordnete den Prozess gegen ihn in die anti-palästinensische Repressionswelle im Allgemeinen und in die Repression gegen die im Mai 2024 verbotene Gruppe Palästina Solidarität Duisburg (PSDU) im Konkreten ein.

Anders als Richter Haberland widersprach Richterin Ostkamp-Zhu Leon nicht, als er erklärte, dass es sich um ein politisches Verfahren handle. Zwar erfolgte der Freispruch aufgrund eines „Mangels an Beweisen“, da nicht vollständig ausgeschlossen werden könne, dass Leon irgendwann an diesem Abend irgendetwas gesagt haben könnte, das die Parolen doch irgendwie strafbar erscheinen lassen könnte. Er wurde aber dennoch insofern in der Sache freigesprochen, als die Richterin deutlich machte, dass die beiden Parolen auch „im engen zeitlichen Zusammenhang“ zum 7.10.2023 nicht per se strafbar seien. Hier liegt auch der entscheidende juristische und politische Sieg dieses Verfahrens. Denn dazu hatte es bislang keine positiven, sondern lediglich mehrere negative Entscheidungen in ersten Instanzen gegeben. Damit sind wir der Entkriminalisierung der Parole „From the River to the Sea, Palestine will be free“ einen weiteren Schritt nähergekommen.

Viel Solidarität, kaum Medien

Wie schon beim ersten Prozess waren auch diesmal viele Menschen vor Ort, um ihre Solidarität zu demonstrieren: An beiden Tagen fand vor dem Gerichtsgebäude ein Infostand statt und an beiden Tagen kamen jeweils zwischen 60 und mehr 70 Personen, die teilweise extra aus Ost- und Süddeutschland angereist waren. Am ersten Prozesstag war der Saal völlig überfüllt und die Leute saßen teilweise zu zweit auf einem Stuhl. Für den zweiten Tag wurde daher der größte Saal im Gebäude belegt, der sonst nur für Mordprozesse genutzt wird.

Für Empörung sorgte die Anweisung der Richterin, dass politische Symbole nicht gezeigt werden durften, was auch das Tragen von Kufiyas einschloss. Dem fügten sich die Zuschauer, allerdings nicht, ohne ihren Unmut zu äußern. Rechtsanwalt Tim Engels kritisierte diese Maßnahme in seinem Schlussplädoyer scharf als einen Angriff auf die kulturelle Identität der Palästinenser. Und das in einer Zeit, wo ihre gesamte Existenz, kulturell wie physisch, der Vernichtung preisgegeben wird. Dafür erntete er langanhaltenden Beifall der Zuschauer.

Auffällig war, dass, abgesehen von den linken Medien junge Welt, UZ und WSWS, die Mainstreammedien an beiden Prozesstagen nicht vor Ort waren. Dabei hatten WDR, WAZ, NRZ und Rheinische Post wie auch die „Ruhrbarone“ im Jahr zuvor teilweise sehr ausführlich über die Verurteilung in erster Instanz berichtet. Lediglich der WDR schickte, nachdem alles gelaufen war, ein Kamera-Team zum Gericht, das einen Sprecher des Gerichts interviewte. So wurde in einem 30-Sekunden-Beitrag in den Lokalnachrichten, in anonymisierter Form und ohne Bilder von den vielen solidarischen Prozessbeobachtern zu zeigen, über den Freispruch berichtet. Im April 2024 hatte der WDR noch umfangreich, mit Leons vollem Namen sowie Bildern aus dem Gerichtssaal und von der Solidaritätskundgebung vor dem Gebäude berichtet und gegen Leon und seine Unterstützer gehetzt.

Wir als Komitee hatten die Medien nach dem ersten Prozesstag noch per Mail auf das Verfahren aufmerksam gemacht und sie darauf hingewiesen, dass sie gemäß Pressekodex zu einer Folgeberichterstattung in Strafverfahren verpflichtet sind. Wie Leon in seinem Plädoyer und in einer Rede nach dem Verfahren erklärte, hatten diese Medien die Aufgabe, mit der Hetze gegen ihn das Verbot von PSDU mit vorzubereiten. Dass sie jetzt nicht mehr berichten, passt entsprechend ins Bild.

Wie geht es weiter?

Die Staatsanwaltschaft hat eine Woche Zeit, Revision einzulegen, was sie sehr wahrscheinlich tun wird. Sobald das schriftliche Urteil da ist, wird sie sich überlegen, ob sie ihren Antrag zurückzieht oder versucht, das Urteil zu kippen. Dann geht das Verfahren an das Oberlandesgericht (OLG), wo es auf Verfahrensfehler geprüft wird. Sollten solche Fehler festgestellt werden, was eher unwahrscheinlich ist, kommt es zum dritten und letzten Verfahren. Sollte Leon das verlieren, gibt es die Möglichkeit vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen. Sollte er die dritte Instanz gewinnen oder die Revision durch das OLG abgelehnt werden, wäre dies ein weiterer Sieg, da das jetzige Urteil bestätigt würde. Sollte die Staatsanwaltschaft keine Revision einlegen, ist der Freispruch eine Woche nach dem Urteil rechtskräftig und nicht mehr anfechtbar. Dasselbe gilt, sobald die Staatsanwaltschaft ihren eingelegten Revisionsantrag zurücknimmt.

Leon hat angekündigt, presserechtliche Schritte gegen die Leitmedien zu prüfen, die gegen ihn gehetzt haben. Außerdem geht der Kampf gegen das PSDU-Verbot weiter. Der jetzige Sieg vor Gericht wird dabei helfen. Auch im Kampf gegen das Berufsverbot von Ahmad Othman, der gemeinsam mit Leon gegen das PSDU-Verbot klagt, kann dieses Urteil helfen. Denn absurderweise wurde Leons Verurteilung auch in Ahmads Arbeitsrechtsverfahren von der Gegenseite angeführt, um Ahmads „Verfassungsfeindlichkeit“ zu „beweisen“.

Sobald Leons Urteil rechtskräftig ist, werden Leons Anwaltskosten rückerstattet, weil sie der Staatskasse auferlegt wurden. Das ist sehr gut, weil auch die weiteren juristischen und politischen Kämpfe weiter Geld kosten werden. Jeder Sieg wird Geld zurückbringen. Aber bis dahin sind die Betroffenen und das Komitee weiter auf Spenden angewiesen. Ohne sie sind diese Siege nicht zu erkämpfen.

 

Weiter
Weiter

Aufforderung an die Medien